Land, Land by Márai Sándor

Land, Land by Márai Sándor

Autor:Márai, Sándor [Márai, Sándor]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783492960120
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 2015-05-30T16:00:00+00:00


Unter den aus Moskau heimgekehrten kommunistischen Schriftstellern befand sich ein älterer Dichter, mit dem ich einmal offen sprechen konnte. Er war ein begabter Schriftsteller, also im Pascalschen Sinn des Wortes »ein Herr«, denn (so glaubte Pascal) »ein Herr läßt sich auf nichts ein, wovon er nichts versteht«. Dieser alte Dichter verstand etwas vom Schreiben, aber in den langen Jahren der Moskauer Emigration hatte er nichts Bedeutendes mehr geschrieben. Erstaunlicherweise kamen allgemein nur wenig bedeutende Werke aus den Schubkästen zum Vorschein, als Geschriebenes nicht mehr versteckt zu werden brauchte, als man vor die Welt treten konnte mit dem, was man als Schriftsteller in den Jahren gedacht und geschrieben hatte, als man gemieden und verdrängt und ausgestoßen war. Die ungarischen Schriftsteller, die aus der Moskauer Emigration heimkehrten, brachten nichts Nennenswertes mit. Aber mit sich brachten sie ihren Verstand, und der war kritisch geblieben. Das eine einzige, lange Gespräch, das ich mit diesem Mann führte, ist mir als Überraschung im Gedächtnis haftengeblieben.

Zu Beginn des Gesprächs betete er leiernd, fast gelangweilt, den Papageientext herunter, den in Moskau erlernten. Der kommunistische Wortschatz ist so ärmlich, daß man gähnen möchte. Er fing damit an, daß die Literatur, die Kunst, daß jede geistige Schöpfung nie etwas anderes sei als »eine Folge der gesellschaftlichen Verhältnisse«. Ich fragte ihn, wie er sich die Entstehung der klassischen und halbklassischen Meisterwerke erkläre, die entgegen der Zeitidee, dem Zeitgeschmack, entgegen der gesellschaftlichen und offiziellen Zensur und unabhängig von den zeitbedingten gesellschaftlichen Verhältnissen entstanden sind. Der Künstler vermochte in allen Epochen stärker zu sein als die gesellschaftliche Situation, in der er lebte … Der kommunistische Schriftsteller stritt das ab. Schöpferisch tätig sein könne man nur durch den Anreiz gesellschaftlicher Kräfte, wiederholte er mehrmals hartnäckig. Er sagte nicht, was mir ein sowjetischer Soldat, ein Brückenbauer, gesagt hatte, daß die Revolution ein großes Unterfangen sei, für das der Schriftsteller auf geistige Freiheit verzichten könne – doch er sagte die bekannten Glaubensthesen des Heiligen Textes auf, mit monotoner Stimme, apathisch und resigniert.

Es gibt jedoch Dialoge, die ganz normal beginnen und plötzlich einen unerwarteten Verlauf nehmen. Nach einem Weilchen wurden wir beide gewahr, daß wir uns nicht mehr einfach »unterhielten«, sondern voreinander Rechenschaft ablegten. Wir empfanden das als dringlich – er, der aus der Emigration heimgekehrte Schriftsteller, der »Sieger«, und ich, der ich in der Heimat gelebt hatte, während er im Ausland weilte. Deshalb kamen wir übergangslos auf das Wesentliche zu sprechen, als wären wir froh, endlich einen Partner für eine solche Bilanz gefunden zu haben.

Wir sprachen darüber, daß die Emigration für die Schriftsteller nicht nur eine Gefahr darstellt, sondern auch – in Zeiten und Situationen, die Freiheit und Wahrheit verweigern – Möglichkeiten birgt. In solchen Zeiten muß man freiwillig in die Verbannung gehen, denn nur da kann man die Wahrheit sagen; anders hat das Schreiben keinen Sinn. Der alte Schriftsteller stimmte mir zu – die Emigration ist eine schwere Prüfung, aber auch ein Kraftquell; darin waren wir uns einig. Wir führten Beispiele an. Lenin in der Schweiz, unter erbärmlichen Bedingungen, aber mit ungebrochener Seele und Überzeugung.



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